Wenn man sich mit Irmgard Zysk unterhält, lernt man einen zufriedenen und ausgeglichenen Menschen kennen. "Die Dame mit dem grünen Daumen" wird sie liebevoll im Kardinal-von-Galen-Haus, das mittlerweile seit 9 Jahren ihr Zuhause ist, genannt. Die Pflanzen und Blumen im Gewächshaus neben dem Münsterlandhaus im Park sind ihr sehr ans Herz gewachsen. "Aus jeder Zwiebel wird doch was." lacht sie und zeigt auf das Foto einer wunderbaren Dattelblüte, den Kern hatte sie einfach in einen Topf gesteckt. Am Sonntag, 31.10.21, wird Irmgard Zysk 100 Jahre alt.
Tatsächlich findet sie ihre innere Ruhe, wenn sie bei den Pflanzen ist. Ein bisschen erinnert sie das an ihre Kindheit auf dem Bauernhof in Glauch, wo sie geboren wurde. Wenn die Eltern auf dem Markt waren, hat sie sich um Geschwister, Haushalt und Hof gekümmert. "Damals hatten wir sogar noch Schafe." sagt sie. Mitten im Krieg heiratet sie mit 19 Jahren in Ortelsburg ihren Mann Helmuth, ein Jahr später kommt ihre älteste Tochter Ursula zur Welt. Das Glück der Familie währt nicht lange, 1944 fällt ihr Mann an der Ostfront, kurze Zeit später muss sie fliehen. Nach der Rückkehr nach Ortelsburg wird sie unter Druck gesetzt, weil sie die deutsche Staatsbürgerschaft nicht abgeben will und muss sogar ins Gefängnis, bevor sie nach Deutschland ausgewiesen wird. Sie zieht zu ihrer Tante nach Herten und lernt Erich Zysk kennen, den sie 1951 heiratet. Irmgard Zysks Leben scheint sich zum Positiven zu wenden. Bis 1966 werden die Töchter Gabriele und Christa sowie Sohn Volker geboren. Die Familie zieht zunächst nach Schönenbach, dann nach Wiehl. "Wir hatten dort eine wunderbare Zeit, zum Haus gehörte eine große Obstwiese, Ackerland und Wald." Diese endet abrupt, als die Leiter ihres Mannes beim Beschneiden der Obstbäume bricht, er auf den frostigen Boden fällt und an seinen inneren Verletzungen stirbt. Irmgard Zysk verkauft das Haus, zieht zunächst nach Oer-Erkenschwick und dann nach Herten. 2011 schneidet sie in ihrem Garten an der Feuerwache die Rosen, isst zu Abend und kann während der Nachrichten plötzlich ihre Füße nicht mehr bewegen. Eine Odysse durch verschiedene Krankenhäuser beginnt, doch die Ursache kann nicht so recht gefunden werden. Die Perspektive, für immer im Rollstuhl zu sitzen, macht ihr zu schaffen und sie übt jeden Tag mit ihrer Pflegerin, wieder laufen zu können. Die Anstrengung ist zu groß und so lässt sie sich im Dezember 2011 ins Krankenhaus einweisen, bevor sie beschließt "Ich gehe jetzt in ein Altersheim." Tochter Gabriele kümmert sich und so zieht sie 2012 ins Kardinal-von-Galen-Haus. "Ich war ja über 90 und als Mensch wirklich hilflos. Hier wird mir geholfen, dafür bin ich sehr dankbar." sagt sie. "Und dann - dieser Garten." Irmgard Zysks Augen fangen wieder an zu strahlen. In den Händen hält sie den Ortelsburger-Heimatboten. Ein jährlich erscheinendes Heft über ihre Heimat. Immer wieder kehren ihre Gedanken zu der damaligen Flucht zurück. "Wir sind mit dem Pferdekarren los und kamen mit dem Handwagen zurück - die Pferde waren als erstes weg." erinnert sie sich. "Am Schlimmsten war diese Ziellosigkeit und wir wurden auch nicht mit offenen Armen empfangen." Durch das Heft erfährt sie immer wieder Neues aus der alten Heimat und freut sich, dass es Menschen gibt, die sich dafür so engagieren. Ganz bewusst nimmt sie auch das Thema Flucht in der heutigen Zeit war und fühlt mit den Familien, die davon betroffen sind. "Man erlebt so viele Menschen, die meckern. Ich glaube, die wissen gar nicht, wie wichtig der Frieden in einem Land ist."
Auf ihren Ehrentag freut sich Irmgard Zysk. Noch mehr freut sie sich jedoch, dass dann die ganze Familie zusammenkommt - ihre 93jährige Schwester, ihre Kinder, Enkel und Urenkel. Rund 30 Gäste hat sie ins "Jammertal" eingeladen. "Dort ist es so schön ländlich." erklärt sie und fügt lachend hinzu: "Aber der Name ist nicht das Programm!"