Ganz schlimm habe er das empfunden, obwohl er wenig mit ihr zusammen gemacht habe. Denn "sie konnte nicht das spielen, was ich wollte." Das Wort Inklusion habe es in den 50er Jahren noch nicht gegeben, sagt der Leiter der St.- Elisabeth-Schule in Steinfurt, aber Inklusion zumindest in Teilen schon. Storck ist nach 37 Jahren als Sonderschullehrer unbedingter Befürworter der Inklusion. Sorge um den Bestand seiner Förderschule mit Schwerpunkt geistiger Behinderung hat er jedoch nicht. Sie wächst weiter. Den Absichtserklärungen folgen nicht die passenden Taten, kritisiert er: "Inklusion meint, dass alle dazu gehören". Die Politik aber schaffe Regeln, die gar nicht alle meinen könnten: "Sie verschiebt nur die Linie".
Storck erinnert sich auch daran, dass er im ländlichen Riesenbeck erst mit 20 Jahren einen schwer behinderten Jungen aus der weiteren Nachbarschaft erstmals gesehen habe. Grundsätzlich habe man gewusst, wer im Dorf behindert war, habe auch Späße auf ihre Kosten gemacht. Andererseits hätten sie noch Arbeit gefunden: "Vom Inklusionsgedanken war da schon eine Menge drin". Heute geschehe das auf einem anderen Niveau, werde aber auch wieder ein Teil der Menschen mit Behinderungen ausgegrenzt .
Profitieren könnten die Kinder, die in eine Regelschule aufgenommen würden. Für die anderen sei es ein Verlust. Ursprünglich, so Storck, habe die Landesregierung auch den Förderschulen die Möglichkeit geben wollen, sich zu Inklusionssystemen zu entwickeln. Dieses Ziel sei im verabschiedeten Gesetz nicht mehr zu finden. Es biete sich an, dass auch Regelschüler in Förderschulen aufgenommen werden könnten. Eine umfassende Barrierefreiheit muss nicht erst geschaffen werden und das gemeinsame Lernen kann gleich unter optimalen Bedingungen starten. "Bei den Kitas ist das auch hervorragend gelungen", sagt Storck. Ursprünglich auf Heilpädagogik spezialisierte Einrichtungen hätten sich zu integrativen entwickelt.
Die zur Caritas Steinfurt gehörende St.-Elisabeth-Schule hat wie die weiteren drei Förderschulen für Kinder mit geistiger Behinderung im Kreis Steinfurt bis hin zum eigenen Schwimmbad Einiges zu bieten, was auch für Regelschüler attraktiv ist. Das wissen Eltern zu schätzen. Ihre Kinder könnten in eine Regelschule gehen, sie entscheiden sich aber dagegen. "Sie sehen, dass ihre Kinder dort nicht bekommen, was sie sich für sie wünschen", erklärt Alfred Storck einen der Gründe für das anhaltende Wachstum seiner Schule. Mittlerweile sind es fast 190 Schüler, um die sich 50 Lehrer, sieben Therapeuten, 15 Integrationshelfer und neun FSJler beziehungsweise BFDler kümmern.
Diese "Superausstattung" sieht Storck teilweise auch als "Wiedergutmachung" aus der Erinnerung an den Umgang mit behinderten Menschen im Dritten Reich: "Dieses Bewusstsein endet jetzt" und damit auch die ernsthafte Bereitschaft entsprechend teure Rahmenbedingungen für das Gelingen der Inklusion zu schaffen.
Dass Inklusion grundsätzlich möglich ist, daran glaubt Storck. Es werde allerdings wohl mindestens eine Generation brauchen. Und man müsse sich in der Gestaltung davon verabschieden, dass Schüler mit und ohne Behinderung jederzeit und in allem zusammen bleiben müssten. "Menschen wollen sich in Interessengruppen treffen", sagt der Schulleiter. Auch im "normalen" Leben habe der Banker wenig Berührungspunkte mit dem einfachen Fabrikarbeiter. Zusammen sollten sie dagegen sein, "wo es eine gute Idee gibt, von der alle profitieren." So könnte es für die Regelschüler ein Lernziel sein, sich um schwache Menschen zu kümmern. Das ist für Alfred Storck unabdingbar, "wenn wir als Ziel die inklusive Gesellschaft vermitteln wollen."
Dagegen müsse dem Schüler mit geistiger Behinderung nicht der Satz des Pythagoras beigebracht werden. Die Kunst sei letztlich, Unterrichtsfelder zu finden, die eine praktische Bedeutung für sie hätten. "Man muss Schule schon so gestalten, dass alle was davon haben", wäre für Storck das Ziel. Lebenspraxis wird von der Wäschepflege bis hin zu einer Lernwohnung in der Steinfurter Förderschule groß geschrieben.
Schwierig wird es mit diesen Zielen, wenn das Verhältnis von Regelschülern und Schülern mit sonderpädagogischem Bedarf nicht mehr passt. "Bei 16 von insgesamt 50 Anmeldungen ist das nicht mehr Inklusion", stellt Storck fest. Trotzdem werde daran festgehalten, Förderschulen auslaufen zu lassen. Die Mindestzahl von 144 Schülern für Förderschulen mit den Schwerpunkten Lernen, emotional-soziale Entwicklung und Sprache gefährde auch im Kreis Steinfurt Standorte und würden bei Schließungen weitere Anfahrtswege für die Kinder bedingen. Förderschulen mit Schwerpunkt geistiger Behinderung müssen nur mindestens 50 Schüler vorweisen.
Bei entsprechender Bereitschaft hält Storck es für möglich, all diese Hindernisse zu überwinden. Doch die sehe er derzeit nicht. Was wohl nicht übertragbar sei, sei die Schulkultur: Ohne Klassenarbeiten und Zensurendruck, geprägt von der Offenheit und direkten Ansprache der Schülerinnen und Schüler, "bestimmen individuelle Zugewandtheit und Personen-orientierte Förderangebote den schulischen Alltag", sagt Storck: "Daraus entsteht ein anderer Umgang".
041-2014 30. April 2014