"Aber dass nichts passiert, passiert nicht", ist für Barbara Kurlemann die Erkenntnis aus langjähriger Erfahrung als Geschäftsführerin des Sozialdienstes katholischer Frauen in Ibbenbüren. Das neueste Projekt hat für sie deshalb besondere Bedeutung. Die Landesinitiative "Endlich ein Zuhause", an der 20 Kommunen und Kreis in NRW sich beteiligen, ermöglicht eine intensive Hilfe, um Wohnungen zu erhalten oder neue zu finden. Sechs Mitarbeiterinnen im Kreis Steinfurt arbeiten daran, je zwei in Ibbenbüren sowie in den Caritasverbänden Rheine und Emsdetten-Greven.
Der Start war coronabedingt schwierig. Aber Gabriele Andresen und Birte Kerperin haben sich davon nicht aufhalten lassen. Dass sie trotz der Einschränkungen bereits 15 Klienten beraten haben, denen der Wohnungsverlust droht, und weitere 13 Fälle mit akuter Wohnungsnot zeigt für Kurlemann deutlich auf, dass Hilfe notwendig ist. Immer wieder hatte Gabriele Andresen in der Allgemeinen Sozialberatung mit diesen Problemen zu tun, aber erst seit sie sich die Projektstelle mit Birte Kerperin teilen kann, ist es möglich, sich um jeden einzelnen Fall intensiv zu bemühen.
Das schlägt sich schon nach den ersten Monaten in Erfolgszahlen nieder. Vier Wohnungsverluste haben die Projektmitarbeiterinnen verhindert und acht neue Wohnungen vermittelt. "Ohne das Projekt wäre das nicht gelungen", ist für Kerperin klar. Denn nur im Internet nach Wohnungsanzeigen zu recherchieren, reiche bei weitem nicht. Sie haben alle potentiellen Vermieter und Wohnungsgenossenschaften im Tecklenburger Land angesprochen und die vorliegenden Listen aktualisiert.
Die Vermittlung ist in vielen Fällen gerade mal der Anfang einer Beratungsbeziehung, wobei bis dahin in der Regel schon viele Gespräche und einige Wohnungsbesichtigungen notwendig sind. Wie facettenreich ein einzelner Fall sein kann, erlebt Birte Kerperin gerade mit einem 35jährigen Mann mit Migrationshintergrund, der aufgrund einer Trennung aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen ist. Durch diese Situation waren der Brückenjob und Integrationskurs in Gefahr, da die Konzentration für diese Bereiche fehlte. Ebenso verschwand plötzlich die bislang gute Aussicht auf einen Job. Kurzzeitig konnte er bei einem Bekannten unterkommen, aber eine Woche schlief er auch auf der Straße.
Mittlerweile hat ihm Birte Kerperin ein WG-Zimmer besorgt. "Jetzt nimmt er seinen Weg wieder auf", sagt die Sozialarbeiterin. Er lernt wieder Deutsch und sucht nach Arbeit. Aber das sei nur mit engmaschiger Begleitung möglich. Jeden Tag telefonieren sie noch miteinander. Die SkF-Mitarbeiterin verdeutlicht damit, dass es im Projekt um weit mehr als nur das Finden einer neuen Wohnung oder das Sichern der Miete geht. Es gebe viele Ursachen für Wohnungsnot und die müssten angegangen werden, ist für Gabriele Andresen das Ziel ihrer Arbeit. Dass der SkF Ibbenbüren mit mehreren Angeboten gegen Armut aktiv ist, sieht Barbara Kurlemann als großen Vorteil und solide Grundlage des Projekts.
Tatsächlich ist die prekäre Einkommenssituation fast immer der Auslöser der Wohnungsnot. Jobverlust, Krankheit, Trennung nennt Gabriele Andresen als häufige Gründe. Da darf dann eigentlich nichts zusätzlich passieren. Doch das sei nunmal nicht die Lebensrealität, sagt Barbara Kurlemann. Schnell gerate man in eine Abwärtsspirale und "geht der Überblick verloren", erfährt Birte Kerperin immer wieder.
Bleibt nur noch Arbeitslosengeld II, wird es eng. Dann darf die Wohnung nicht viel kosten. 50 Quadratmeter zu einer Miete von 300 Euro werden für einen Alleinstehenden in Ibbenbüren gewährt. Aber diese günstigen Wohnungen gibt es kaum - weder dort noch in den umliegenden ländlichen Gemeinden, weiß Birte Kerperin. Kommen ein Ehepartner und Kinder hinzu, werde es eher noch schwieriger. Im Einzelfall dürften zur Not auch etwas teurere Wohnungen bezogen werden, aber die Zusatzkosten müssten vom Hartz-IV-Satz, der das Existenzminium markiert, selbst aufgebracht werden.
Um das Abrutschen möglichst weit im Vorfeld aufzuhalten, planen Andresen und Kerperin in die Schulen zu gehen und dort den realistischen Blick auf die Kosten und Pflichten zu öffnen, die eigenständiges Wohnen mit sich bringt. Für ihre Klienten haben sie zudem einen kleinen Ratgeber mit Tipps rund um Wohnungssuche, Mietvertrag und Umzug gestaltet. Künftig werden sie auch einen Ort zum Verweilen mit Möglichkeiten zum Fernsehen, Waschen und Kaffee trinken anbieten können in einer Wohnung, neben der Birte Kerperin schon ihr Büro eingerichtet hat. Hilfreich sei auch, dass das Projekt ermöglicht, Klienten mit etwas Ausstattung und bei Renovierungen unter die Arme zu greifen.
Das Projekt sollte ursprünglich Ende des Jahres schon wieder auslaufen, aber jetzt gebe es glücklicherweise Hinweis auf eine mögliche Verlängerung bis Ende 2022, sagt Barbara Kurlemann. Gabriele Andresen und Birte Kerperin haben auch noch genügend Ideen für die weitere Entwicklung. So wollen sie den SkF als Postadresse einrichten. Hintergrund ist die "Erreichbarkeitsanordnung" für ALGII-Empfänger. Auch wenn sie wohnungslos sind, müssen sie eigentlich täglich in einen Briefkasten schauen, falls Post "vom Amt" kommt. Wichtiger noch: Ohne Adresse gibt es keine Chance auf einen Job. "Da muss alles zusammenspielen", beschreibt Birte Kerperin den umfassenden Projektansatz.
069/2020 (hgw) 20. Juli 2020