Da laufen immer ein oder zwei langfristige Einsätze, gefühlt sind es für sie eher mehr geworden. Familienpflege muss hier "immer erst einmal den Alltag aufrechterhalten", erklärt die Einsatzleiterin der Caritas Borken: "Das Allerwichtigste ist, dass die Kinder im gewohnten Umfeld bleiben können". Unbestritten eine existenzielle Aufgabe, aber viele Familienpflege-Dienste haben in den vergangenen Jahren nicht überlebt, weil die Krankenkassen kostendeckende Vergütungen verweigern. Dagegen ist das "Borkener Modell" entwickelt worden, das Welchering heute optimistisch in die Zukunft blicken lässt.
Finanznöte wegen des Spardrangs der Krankenkassen gab es schon, als Hildegard Welchering 1975 ihre Ausbildung abschloss. Damals waren es vor allem noch Ordensschwestern in den Kirchengemeinden, die sowohl Familienpflege wie ambulante Pflege leisteten. Mitte der 90er Jahre verschärfte sich die Situation mit Einführung der Pflegeversicherung. Die Familienpflege war bis dahin in den Sozialstationen mitgelaufen, kostendeckende Pflegesätze konnten nicht erzielt werden. Auch öffentliche Fördermittel reichten bei weitem nicht für eine Refinanzierung. Da die Krankenkassen zu deutlichen Erhöhungen nicht bereit waren, gaben viele Verbände die Familienpflege auf. Gab es 2014 in der Diözese Münster von 14 Dienste, sind aktuell nur neun übrig geblieben.
Das Aus drohte auch in Borken. Die Caritas gab aber nur auf, pauschale Pflegesätze zu vereinbaren, setzt jetzt seit Jahren auf Einzelverträge. Die Krankenkassen können das individuelle Angebot annehmen oder versuchen, eine günstigere Lösung zu finden. Im Anfang war es nicht einfach, erinnert sich Hildegard Welchering, aber die Kassen hätten gelernt, dass die komplexen Problemlagen in den Familien mit Putzkräften und auf 450-Euro-Basis nicht zu lösen sind.
Es hat sich eingespielt und mittlerweile ist ein annähernd kostendeckender Stundensatz erreicht. Manchmal kürzt Hildegard Welchering sogar in Absprache mit den Familien die Stundenzahl, wenn sich herausstelle, dass der bewilligte Umfang tatsächlich nicht benötigt werde: "Das wissen die Kassen auch". Und wenn es doch noch mal Probleme gibt, weist sie die Familien auf ihren Rechtsanspruch hin. Akzeptiert die Kasse nicht das Angebot der Caritas, muss sie selbst einen Dienst suchen - und kommt dann vielleicht doch darauf zurück.
Das allein hätte das Überleben noch nicht gesichert. Parallel dazu hat sich die Familienpflege breiter aufgestellt mit Angeboten im Rahmen der Jugendhilfe. Klassisch ist zwar der Einsatz bei Erkrankung eines Elternteils oder während einer Kur. Aber nach dem Tod eines Elternteils kann auch das Jugendamt ins Spiel kommen. Familienpflegerinnen sind zudem in ambulanten Wohngemeinschaften und im ambulant betreuten Wohnen für psychisch Kranke im Einsatz. Im Gesamtteam lassen sich Spitzen und Flauten ausgleichen, erklärt Welchering.
Geändert haben sich über die Jahre nicht nur die Stundensätze. War die Familienpflegerin früher üblicherweise nur in einer Familie im Einsatz, sind heute zwei bis drei Einsätze pro Tag die Regel, erklärt Welchering: "Da braucht es eine hohe Flexibilität". Die Kolleginnen seien "zwischen 6 und 20 Uhr im Standby". Eben wenn sie gebraucht werden, damit die Kinder zur Schule und in die Kita kommen und anschließend wieder betreut werden, bis Vater oder Mutter übernehmen können.
"Das ist schon eine Schule fürs Leben", beschreibt die Caritas-Mitarbeiterin den Reiz des Berufs. Allerdings auch anstrengend, zählt sie eine längere Liste an erforderlichen Fähigkeiten auf: Familienpflegerinnen "dürfen kein ausgeprägtes Helfersyndrom haben". Das würde eine Familienpflegerin ausbrennen. Sie müsse Familien mögen und Herausforderungen lieben und erkennen, wo es Grenzen gibt. Dass es inzwischen Nachwuchssorgen gibt, liegt allerdings eher daran, dass viele Fachschulen aufgegeben haben, weil die Dienste eingestellt worden sind. Welchering ist froh, dass es an der Familienbildungsstätte in Stadtlohn noch einen Ausbildungsgang in der Nähe gibt.
Im Einsatz sind viele Talente gefragt. Die Familienpflegerinnen putzen auch, wenn es notwendig ist, aber das sei nicht ihre eigentliche Aufgabe. Sie müssen die individuelle Familienkonstellation erspüren und nicht zuletzt zuhören können. "Da drückt nicht nur die Bandscheibe," sagt Hildegard Welchering. Da gebe es noch ganz andere Probleme, die sich offenbaren, "wenn die Mutter sich öffnet". Dann kann sie auf die Kollegen in den vielen weiteren Fachdiensten der Caritas zurückgreifen. Mittlerweile werden solche Fälle natürlich anonym am runden Tisch besprochen, um passende Hilfen anbieten zu können.
Hildegard Welchering spürt auch in jüngerer Zeit eine Rückkehr nach dem Prinzip der umfassenden Hilfe der "Dorfschwester". In der Entwicklung von Quartiersprojekten werden auch ehrenamtliche Kräfte aktiviert. Dies werde den Verlust der Großfamilie, einer der Gründe für das Notwendigwerden eines professionellen Dienstes, in Kombination mit der Familienpflege möglicherweise wieder etwas ausgleichen können.
007-2019 (hgw) 1. Februar 2019