Mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter müssen sie nachweisen, dass sie weiterhin Unterstützung benötigen. Dabei ist für Michael Kaiser nicht nur als Heimleiter sondern auch als Vater klar, dass sie noch nicht ins selbständige Leben entlassen werden können. In der Fachwelt sei unumstritten, dass "heute 25 das 18 von früher ist". Ohne weitere Begleitung drohe ein Bruch in der Biographie: "Wenn sie nicht auf die Füße kommen, wird es richtig teuer."
Die meisten der rund 30 "Careleaver" in St. Mauritz, wie die 18jährigen im sozialen Fachdeutsch benannt werden, benötigen weiterhin Hilfe. Weil die von offiziellen Stellen nur schwer zu bekommen ist, ist Kaiser umso dankbarer für den Stiftungsfonds, den das münstersche Ehepaar Beisenkötter gegründet hat. Daraus kann er abgestimmt mit dem Vergabeausschuss unbürokratisch Unterstützung gewähren.
Zum Beispiel für die 20jährige junge Frau, die einen Studienplatz in Holland gefunden hat, aber ihr Leben dort nicht vollständig selbst finanzieren kann. "Für bessere Chancen braucht es einen langen Atem und finanzielle Ressourcen", sagt Kaiser. Wobei es nicht Geld allein ist, ebenso wichtig sei, dass die jungen Erwachsenen sich weiterhin Rat von den bisherigen Betreuerinnen holen könnten. Er hat dabei eine andere junge Frau im Blick, die über neun Jahre in St. Mauritz gelebt hat und mit existenziellen Sorgen in die Selbständigkeit gestartet sei. Da sind weiter Hilfen notwendig.
Wie nah Erfolg und die Gefahr des Misserfolgs beieinander liegen, sieht der Heimleiter bei den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen: "Derzeit sind wir ziemlich erfolgreich, sie in Ausbildungsplätze zu vermitteln". Aber sie müssten unterstützt werden, um ihre Deutschkenntnisse weiter zu verbessern und den theoretischen Teil in der Berufsschule zu schaffen. Gerade diesen Übergang in den Beruf zu fördern, haben Renate und Theo Beisenkötter als Ziel ihrer Zustiftung für Kinder festgelegt. Sie wollen damit sowohl eine Ausbildung oder ein Studium ermöglichen als auch Starthilfen finanzieren.
Wobei die Situation an sich für Michael Kaiser unbefriedigend bleibt. Ob tatsächlich über das 18. Lebensjahr hinaus Hilfen bewilligt werden, hänge stark von der jeweiligen Kommune ab, entscheidend dafür sei der Wohnort der Eltern. In Münster sei weitere Unterstützung vergleichsweise einfach zu bekommen, andernorts gehe praktisch gar nichts. "Da würde ich mir wünschen, dass der Gesetzgeber für gesicherte Finanzierungsregelungen sorgt", sagt Kaiser, der auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Erzieherischer Hilfen (AGE) in der Diözese Münster ist. Eigentlich müsse Jugendhilfe bis zum 27. Lebensjahr möglich sein.
Problematisch sei auch, dass die Jugendhilfe bis zum 18. Lebensjahr sich darauf konzentriere, die Fähigkeiten der Kinder- und Jugendlichen zu finden und zu stärken. Im Selbstbewertungsbogen müssten sie hingegen ihre Schwächen benennen, um weiter gefördert zu werden, kritisiert Kaiser. Statt Hilfe zu bekommen, müssten im Heim wohnende Auszubildende Dreiviertel ihres Gehalts an das Jugendamt abgeben. Zu hoffen sei, dass dies in der ansstehenden Reform des Kinder- und Jugendhilferechts wie diskutiert auf 50 und noch besser auf 20 Prozent reduziert werde. Auch wenn sich der hohe Satz formal rechtfertigen lasse, wirke er doch in dieser Form auf die Jugendlichen in Ausbildung demotivierend.
Zu bedenken sei, dass die in der Jugendhilfe betreuten Jugendlichen ohnehin eine belastete Biographie hätten und in aller Regel nicht im üblichen Maß von ihren Eltern unterstützt werden könnten. Umso größer sei die Gefahr, dass der Übergang vom "behüteten" Leben in Schule und Heim zur Krise werde und es zum Bruch komme. Dann besteht sogar die Gefahr, ""dass wir später wieder Kinder von Eltern aufnehmen, die schon als Kinder bei uns waren" - was Michael Kaiser auch schon erlebt hat.
062/2020 (hgw) 25. Juni 2020