Kurz angestuppst wandert das bunte Kugelbild munter zwischen ihnen hin und her. Die "Tover-Tafel" unter der Decke erkennt die Bewegungen und bringt Bewegung in die Gruppe. Der spezielle Beamer aus Holland weckt Erinnerungen und Gefühle, regt die demenzkranken Bewohner im Haus Waldfrieden der Caritas Ibbenbüren zu gemeinsamen Spielen an und nie dauert es lange, bis ein bekanntes Volkslied dazu gesungen wird.
Die digitale Welt ist in die auf Demenzkranke spezialisierte Einrichtung vor anderthalb Jahren eingezogen. Nicht so spektakulär wie der kindlich schauende Pflegeroboter, aber wirksam, um Vergangenes hervorzuholen und miteinander Spaß zu haben."Demenz muss nicht unglücklich sein bedeuten", sagt Betreuungsassistentin Gabi Thomann. Ganz offensichtlich nicht, denn die Begeisterung ist hör- und spürbar. Ein Druck auf die Fernbedienung und Jörg Lammerskitten, der den Sozialdienst in in zwei der vier Altenhilfeeinrichtungen der Caritas Altenhilfe Tecklenburger Land in Ibbenbüren leitet, hat auf Herbstlaub umgeschaltet. Mit weiten Armbewegungen wischen es alle an die Seite. Wieder ein Klick und es werden wandernde Sterne projeziert, die bei Berührung in Worte explodieren, aus denen sich nach und nach "Morgenstund hat Gold im Mund" zusammensetzt.
Die Möglichkeiten sind vielfältig, die diese Form der Digitalisierung in der Altenhilfe bietet. Noch größer sind sie beim Tablet, mit dem die alten Menschen ebenso wenig Berührungsängste haben. "Sie probieren einfach mal aus", sagt Gabi Thomanns Kollegin Christina Klostermann . Die Tablets hat eine Mitarbeiterin mitgebracht, erzählt Jörg Lammerskitten. Sie sind nur gemietet und werden ständig aktualisiert mit neuen einfachen Quizfragen, Filmen oder Liedern. Karaoke im Chor funktioniert ohne Zögern und für die jüngeren Mitarbeiter hat es den Vorteil, dass sie den Text der althergebrachten Lieder mitlesen können, während den Bewohnern die Melodie genügt und sie sich auch an mehrere, in ihrer Jugend umgedichtete Unsinn-Strophen erinnern.
An die Tover-Tafel ist das Haus Waldfrieden gekommen, weil eines Tages ein Vertreter aus den Niederlanden vor Gabi Thomann in der Tür stand. Für neue Technik kann sie sich begeistern, allerdings brauchte es noch eine kräftige Finanzspritze der örtlichen Banken, bevor der schwere Kasten im Haus Waldfrieden und ein zweiter im Haus Elisabeth unter die Decke geschraubt werden konnte.
Der ist natürlich eher immobil, aber das sei nicht so schlimm, sagt Jörg Lammerskitten. Die Tablets seien ja umso beweglicher. Aufpassen müssen die Mitarbeiter allerdings auf die Fernbedienung, sonst verschwindet sie schnell in einem der Zimmer und ist erst einmal vergessen. Lammerskitten denkt auch schon weiter. Es soll einen speziellen Beamer geben, der transportabel ist und neben ein Bett gestellt werden kann. Der könne auch Musik spielen und biete verschiedene Oberflächenstrukturen: "Damit können wir verschiedene Sinne ansprechen".
Dass Quiz und Spiele sich wiederholen, spielt bei Demenz keine Rolle, erinnert wird was früher war, das Gestern ist unerheblich. Für Mitarbeiter und Ehrenamtliche sei es aber schon gut, dass die Kurzwitze, die das Tablet bietet, immer wieder aktualisiert werden, bekennt GabiThomann. Weitere Wünsche bleiben offen. Ein eigenes W-Lan-Netz wünscht sich Jörg Lammerskitten, dann könnten die Bewohner auch mit Angehörigen und Bekannten skypen.
Vor allem für die Zukunft könnte die elektronische Unterhaltung noch wichtiger werden, ahnt Jörg Lammerskitten. Er fürchtet, dass bei zunehmendem Spardruck als erstes der Sozialdienst dran glauben und die soziale Betreuung runtergefahren werden muss. Dabei sei es schon wichtig, dass der Einsatz der digitalen Medien begleitet werde. Christina Klostermann betont, dass sie nicht zuviel eingesetzt werden sollten. Sie helfen auch nicht bei Kummer und Sorgen und diese Phasen gibt es gerade in der Demenz immer wieder. Dann sind geduldiges Zuhören, Zusprache und in den Arm nehmen. Allenfalls gelinge es manchmal, durch Ablenkung Angstzustände aufzufangen.
Davon ist an diesem Morgen wenig zu spüren. Mit Eifer ist die Hausgemeinschaft dabei, die Schauspieler zu identifizieren, die Gabi Thomann vom Tablet auf den Fernseher spielt. Bei der Frage, ob es sich um Marlene Dietrich oder Zarah Leander handelt, sind die Bewohner eindeutig im Vorteil.
015/2019 (hgw) 26. März 2019