Hier soll in wenigen Monaten geklärt werden, wie es mit den neun Jugendlichen aus sieben Nationen weiter gehen kann. Ob eine Pflegefamilie in Frage kommt oder bei den Älteren vielleicht selbständiges Leben im Betreuten Wohnen. Die Jugendhilfe-Einrichtungen der Caritas in der Diözese Münster stellen sich auf vermehrte Anfragen von Jugendämtern ein, denn voraussichtlich wird auch diese Flüchtlingsgruppe ab Herbst nach dem "Königsteiner Schlüssel" über das ganze Land verteilt, erwartet Norbert Pastoors, Leiter des Anna-Stifts. Die Heime bereiten sich deshalb mit einer umfangreichen Fortbildung schon vor und sind gespannt auf die Erfahrungen, die in Kleve jetzt gesammelt werden.
Derzeit betreuen Kinder- und Jugendhilfe-Einrichtungen der Caritas in der Diözese Münster nach einer aktuellen Umfrage insgesamt 34 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Das Anna-Stift liegt dabei mit 16 an der Spitze. Die weiteren verteilen sich auf die Jugendhilfe Werne (7), Kinder-, Jugend- und Familienhilfe Sankt-Josef in Duisburg (6), Kinderheim "Die Münze" in Kleve (3), Alexianer Martinistift in Nottuln (2) und je ein Flüchtling wird betreut im Vinzenzwerk Handorf, im junikum in Oer-Erkenschwick und im Kinderheim "Haus Honnerbach" in Wesel.
Die Erfahrungen in Kleve sind vom Start weg "sehr positiv", sagt Darija Jeftic, die für die spezielle Außenwohngruppe in Kleve verantwortlich ist. Die Fluchterfahrungen schweißen zusammen, da lösen sich Unterschiede in Volkszugehörigkeit und Religion auf. Jeftic erlebt die 12- bis 17jährigen aus verschiedenen afrikanischen Ländern, Afghanistan, Syrien und Irak als "hoch motiviert und fleißig". Und vor allem auch sprachgewandt. Auf ihrer langen Flucht haben sie neue Sprachen gelernt. Mohammed aus Senegal zum Beispiel bringt es schon auf fünf. Außer Senegalesisch kann er sich in Französisch, Spanisch, Arabisch und nach kurzer Zeit schon recht gut in Deutsch verständigen. In einer Sonderklasse der Hauptschule lernen alle intensiv die neue Sprache.
Alle wollen bleiben. Ob, wie und wo das gehen könnte, wird versucht in der Clearing-Gruppe zu klären. "Vom Konzept her ist die Verweildauer begrenzt", sagt Norbert Pastoors. Kurz vor der Volljährigkeit wolle man auf einen Wechsel wohl verzichten. Dann könne ein Umzug in Betreutes Wohnen eine Option sein und die Suche nach einer Ausbildungsstelle. Für die Jüngeren seien "Pflegefamilien denkbar". Darija Jeftic beobachtet, dass alle durch "ihren Weg geprägt" sehr selbständig sind und erwachsener als üblich in ihrem Alter erscheinen.
Erst einmal geht es jedoch darum, "zur Ruhe zu kommen und eventuelle gesundheitliche Schäden zu klären", sagt Jeftic. Alle hätten traumatische Erfahrungen gemacht. Ob ein bleibendes Trauma davon geblieben sei, sei allerdings ohne ausreichende Sprachkenntnisse zunächst schwierig zu entscheiden.
Über allem schwebt die Frage des ausländerrechtlichen Status. Mit 16 könne ein Asylantrag gestellt werden. Bei Syrien oder Afghanistan sei das auch klar, aber bei den afrikanischen Ländern könne dies schwierig werden. Bis 18 Jahre gilt erst einmal das Jugendhilferecht wie für jeden deutschen Jugendlichen auch.
Werden die jungen Flüchtlinge auf der Autobahn oder im Zug nach Überqueren der deutschen Grenze aufgegriffen, informiert die Bundespolizei das zuständige Jugendamt an ihrem Dienstsitz. Das sucht eine Unterbringungsmöglichkeit und bestellt einen Vormund. Entsprechend der UN-Konvention ist das "ordentlich geregelt", sagt Pastoors. Bislang traf es vor allem die Jugendämter direkt an den Transitstrecken, am Niederrhein vor allem die 30.000-Einwohner-Kommune Kempen an der A40. Wenig überraschend war das schnell überfordert. Jetzt ist das zuständige Gebiet auf die gesamte Einreisestrecke ausgedehnt und diskutiert wird die Verteilung wie bei Asylbewerbern allgemein über das ganze Land nach dem Königsteiner Schlüssel.
Gerechnet wird für Deutschland mit rund 7.500 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in diesem Jahr. Wenn künftig alle Jugendhilfe-Einrichtungen angefragt sind, sie aufzunehmen, ist das im Prinzip kein Problem. Aber es gibt eben doch Besonderheiten, auf die sich die Caritas-Einrichtungen schon mal vorbereiten. Kenntnisse im Ausländerrecht beispielsweise gehören dazu. Es bietet sich nach den Erfahrungen des Anna-Stift auch nicht an, die Flüchtlinge in Regelgruppen zu verteilen. "Das ist schwierig, weil die Jugendlichen dort andere Probleme haben", sagt Norbert Pastoors. Die Erziehungsprobleme auf der einen Seite, die traumatischen Fluchterfahrungen zusammen mit mangelnden Deutschkenntnissen auf der anderen fordern "eine Bandbreite, die die Teams auch überfordern kann."
Entspannt geht es dagegen derzeit in der Neuner-Gruppe an der Römerstraße zu. Wichtig sind die festen Strukturen nach der unsicheren Zeit der Flucht mit Unterricht, Essen und Hausaufgaben. Daneben bleibt genügend Zeit für das, was Jugendliche egal welcher Nation das Leben genießen lässt: Musik hören, Fernsehen, sich mit Freunden treffen. "Ganz toll finden sie auch das Schwimmen", sagt Darija Jeftic. Da sei es von großem Vorteil, dass das Anna-Stift zwei verbundene Einfamilienhäuser in der Nähe des Stadtzentrums habe erwerben und umbauen können. Anfang April konnten die ersten Jugendlichen einziehen, wenige Wochen später waren alle Plätze belegt.
053-2015 (hgw) 26. Mai 2015